Ville Blanche, Sri Aurobindo Ashram und Auroville – was man in Pondicherry erlebt haben muss
Mit Pondicherry, der Stadt am Golf von Bengalen, etwa drei Busstunden südlich von Chennai, der Haupstadt Tamil Nadus, verband ich bislang immer eines: französisches Flair. Häuser, die man auch in Montpellier oder Lyon finden könnte, von Bäumen und blühenden Rosenbüschen gesäumte, ruhige Straßen mit Kopfsteinpflaster, die zum entspannten Spazierengehen einladen, bevor man sich in einem hübschen Straßencafé auf einen cremigen Café au Lait und einem Crêpe Suzette niederlässt.
Als wir aus dem Zug steigen, der uns über Nacht von Bangalore hergebracht hat, empfängt uns jedoch zunächst ein ganz anderes Flair: Das für indische Bahnhöfe typische Geschiebe und Geschubse, das „Chai Chai Chai, Coffee, Coffee, Coffee“ der Chai Wallahs, das Getute und Getöse auf dem Bahnhofsvorplatz, wo schon die Rikscha Wallahs auf uns warten mit ihrem „Yes, please. Where do you wanna go?“. Die etwas in die Jahre gekommenen Häuser entlang der Mahatma Gandhi Road, in der unsere Unterkunft liegt, könnte man auch in jeder anderen indischen Stadt finden. Ebenso das Chaos aus hupenden Tuk Tuks, Mopeds und Autos, durch das wir uns nach dem Einchecken im Ram Guesthouse zu Fuß Richtung Meer schlängeln.
Wir überqueren einen kleinen Kanal und biegen in eine der kleinen Seitenstraßen ab. Und befinden uns plötzlich in einer anderen Welt. Die Straßen heißen Rue Suffren, Rue Dumas und Rue Romain Rolland. Wir sehen einen Polizisten mit einer Schirmmütze im Charles-de-Gaulle-Stil. Anstatt Häuser mit abgeblättertem Putz finden wir in weiß, ocker, gelb, rosa und blau gestrichene Kolonialgebäude, alles sauber und gepflegt, wie auf einer Postkarte. Willkommen in der „Ville Blanche“, dem französischen Viertel von Pondicherry.
Die Häuser stammen größtenteils aus dem 18. und 19. Jahrhundert und zeugen mit ihrer Architektur von der kolonialen Vergangenheit der Stadt, die bis 1954 die Hauptstadt Französisch-Indiens war. Wir werfen einen Blick in die Bibliothèque Publique, wandern vorbei am Hôtel de Ville und bummeln die Strandpromenade entlang, die heute nicht mehr Beach Road heißt sondern Goubert Salai. Es ist nicht viel los hier, ein paar indische Touristen fotografieren sich am Strand oder vor der mächtigen Mahatma-Gandhi-Statue. Wenn diese nicht wäre, würde man sich in einem französischen Strandort außerhalb der Saison vorkommen.
Der merklich gelangweilte Mitarbeiter in der Touristeninformation empfiehlt uns, der Elefantenzeremonie in dem Hindutempel unweit des Sri Aurobindo Ashrams beizuwohnen. Auf unserem Weg dorthin passieren wir mehrere katholische Kirchen, leider können wir sie uns nicht von innen angucken, sie sind allesamt umgeben von hohen Mauern und die Tore sind abgesperrt. Dann gehen wir doch lieber direkt zum Tempel, hier geht es ohnehin viel offener und empfänglicher zu, auch wenn wir als Nicht-Hindus nicht bis Allerheiligste vordringen dürfen. Wir kommen gerade rechtzeitig, als die Elefantendame mit dem Om-Zeichen auf der Stirn und den aufgemalten bunten Blumen auf den riesigen Ohren in Richtung Haupteingang geführt wird.
Allgegenwärtig: Der Geist von Sri Aurobindo und „The Mother“
Was für ein Kontrast stellt dieses bunte, fröhliche Spektakel zum Sri Aurobindo Ashram dar. Wir erkennen das Gebäude schon von weitem, grau-weiß gestrichen, wie eine ganze Reihe der Gebäude im französischen Viertel. Die Sri Aurobindo Society, die 1926 von dem bengalischen Guru Sri Aurobindo Ghose und „The Mother“, seiner wichtigsten Schülerin, gegründet wurde, ist heute der größte Immobilienbesitzer in Pondicherry und unterhält mehrere Gästehäuser in der Nähe des Ashrams.
Sehr willkommen fühlen wir uns dort nicht. Nachdem unsere Taschen und wir untersucht wurden, wir unsere Schuhe ausgezogen und ermahnt haben, von dem Samadhi, dem blumengeschmückten Mausoleum von Sri Aurobindo und „The Mother“ ja keine Fotos zu machen, drehen wir eine kleine Runde durch den Hof. Lesen auf den Tafeln neben dem Samadhi etwas über die Geschichte des großen bengalischen Befreiungskämpfers, der sich auf der Flucht vor den britischen Besatzern hier niederließ. Und über „The Mother“, die irgendwie furchterregend und eher unsympathisch aussieht. Einige indische Besucher umrunden das Samadhi, andere sitzen ein paar Meter entfernt auf dem Boden und meditieren. Jeden Morgen und jeden Abend öffnet der Ashram seine Pforten speziell zur Meditation, erfahren wir. Wir dürfen noch ein Blick in das Innere des Hauptgebäudes werfen. Wir staunen über den wie ein bürgerliches Wohnzimmer eingerichteten Raum und den Perserteppich. Sieht irgendwie sehr mondän aus. Und ich dachte immer, Gurus, abgesehen von dem in Saus und Braus lebenden Osho, folgen einem asketischen Lebensstil …
Don’t miss: Ein Tag in Auroville
Ein absolutes Muss während eines Aufenthalts in Pondicherry ist ein Besuch von Auroville, der auf dem Reissbrett entstandenen „Stadt der Morgendämmerung“, die auf „The Mother“ zurückgeht. Die spirituelle Nachfolgern Sri Aurobindos wollte hier die „ideale Stadt“ gründen, eine Kommune, in der die Menschen frei von weltlichen Einflüssen autark leben und sich der Suche nach der „ultimativen Wahrheit widmen können.
„A dream: There should be somewhere on earth a place which no nation could claim as its own, where all human beings of good will who have a sincere aspiration, could live freely as citizens of the world and obey one single authority, that of the supreme truth; a place of peace, concord and harmony …“
– The Mother –
Die Stadt, die 1968 gegründet wurde, sollte einmal 50.000 Einwohner haben. Davon ist man noch weit entfernt. In den Kommunen mit bezeichnenden Namen wie Certitude, Fertile und Transformation leben heute „nur“ etwa 1.700 Menschen. Dazu kommen jedes Jahr allerdings Scharen von Besuchern, die wie wir einen Tagesausflug von Pondicherry in das wohl größte, esoterische Zentrum Indiens machen, oder die sich für mehrere Wochen oder Monate in einer der Kommunen einquartieren und in einem der zahlreichen Projekte mitarbeiten.
Ein Tag in Auroville fühlt sich an, wie auf einem anderen Planeten zu sein. Im Dreamer’s Café im Visitor Center gibt es alles, was das westliche Backpackerherz begehrt – von Free-WiFi über Cappuccino aus einer Espressomaschine, die auch in einer Cafébar in Roma oder Firenze stehen könnte, Bananen-Walnuss-Brot und Karottenkuchen. Das kannte ich schon von meinem Aufenthalt im Ashram der „Hugging Mother“ Amma in Kerala. Zwar kommen die meisten Westler zur Sinnsuche an einen solchen Ort, doch auf die ein oder andere westliche Annehmlichkeit wollen sie dann doch nicht verzichten.
Zudem habe ich in Indien noch nie eine solche Ansammlung von Pizzerien und griechischen Tavernen gesehen wie auf den letzten Kilometern bis zum Besucherzentrum von Auroville. Dort statten wir uns erst einmal mit einer Karte aus, das Gelände ist riesig, viel zu groß, um es zu Fuß zu erkunden. Leider ist heute sowieso vieles geschlossen wegen des Geburtstags des Elefantengottes Ganesha. Aha, der wird hier von den Aurovilleanern also auch gefeiert.
Leider hat auch die berühmte Auroville Bakery geschlossen. Dort wollten wir uns eigentlich mit einem Bekannten eines Bekannten meiner Co-Bloggerin Aminata treffen. Samvith, Sohn einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters, wurde in Auroville geboren und ist nach seiner Schulzeit in Internaten in Frankreich und England, seinem Studium und seinen ersten Jobs in den USA vor ein paar Jahren wieder nach Auroville zurückgekehrt.
Er holt uns mit dem Motorrad vor der Auroville Bakery ab und wir fahren – „Indian style“ – zu dritt ohne Helm zu einem kleinen, indischen Lokal, wo wir anstatt Croissants und Milchkaffee Idli mit Kokosnuss-Chutney und Masala Chai frühstücken. Als wir zahlen wollen, winkt Samvith ab, in den meisten Geschäften und Lokalen in Auroville kann man nicht mit Geld bezahlen. Als Aurovilleaner hat man eine Art Konto, er trägt das, was wir verkonsumiert haben, in das Buch bei der Essensausgabe ein.
Wie es sei, nach so vielen Jahren im Ausland wieder nach Auroville zu kommen, wollen wir von Samvith wissen. Er habe irgendwann gemerkt, dass er einfach hierher gehöre. Seine Eltern leben auch wieder hier, nach einigen Jahren in Europa und Afrika, genau wie sein Bruder. Obwohl er hier geboren und aufgewachsen ist, musste sich Samvith dem strengen Aufnahmeprozess unterziehen, um wieder Mitglied von Auroville zu werden. Man wird dazu umfassend zu seiner Gesinnung befragt, ob man die Ziele von Auroville mittrage und gewillt sei, zum Gemeinwohl beizutragen. Dazu gehört beispielsweise, dass man einem Beruf nachgeht, der in Auroville gebraucht wird und man über ausreichend Geldmittel verfügt. Über die Gesinnungsseite schweigt er sich aus. So erfahren wir auch nicht, ob er beispielsweise regelmäßig das Matri Mandir, das Allerheiligste von Auroville, zum Meditieren und Konzentrieren aufsucht.
Wir dürfen uns diese futuristische Goldkuppel nur von außen ansehen, und das auch nur nach Abholung eines „Entry Pass Tickets“, der nur zu bestimmten Uhrzeiten ausgeteilt wird. Der Zutritt zum Inneren dieses gigantischen Bauwerks und der großen Kristallkugel ist nur möglich, wenn man sich zwei Tage vorher anmeldet. Dabei muss man versichern, dass man wirklich zum Meditieren herkommt, der Pass heißt nicht umsonst „concentration entry“. Überhaupt sei Auroville kein Platz zum Sightseeing und neugierige Touristen, teilt uns die Französin an der Rezeption im Besucherzentrum mit.
Ein Tag als Tourist in Auroville ist tatsächlich zu kurz. Obwohl ich Ashram-erfahren bin, hat dieser Ort eine etwas befremdliche Ausstrahlung auf mich. Man muss wahrscheinlich tatsächlich einige Wochen hier verbringen, um den Geist von Auroville zu durchdringen und zu verstehen, warum so viele Menschen, Inder wie Westler, ihr Leben hier verbringen. Vielleicht tue ich es den beiden Amerikannerinen gleich, die wir im Dreamer’s Café kennenlernen und quartiere mich für eine Zeitlang auf einer der Farmen ein. Und neugierig, einen Blick in das Matri Mandir zu werfen, bin ich tatsächlich auch.
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