Die Kaufmannsvillen von Chettinad – drei luxuriöse Tage in der Saratha Vilas
Ihr habt noch nie von Kothamangalam gehört? Keine Sorge, ich bis vor kurzem auch nicht. Der Taxifahrer, der uns dort hinbringen soll, offenbar ebenfalls nicht. Er fragt. Und fragt. Und fragt. An einem Tante-Emma-Kiosk in Karaikudi, die Kreisstadt, zu der Kothamangalam gehört, die wir zuerst ansteuern. An einem Teestand am Rande des National Highway, auf dem wir wieder ein gutes Stück in die Richtung zurückfahren müssen, aus der wir gekommen sind. Den zahnlosen, älteren Herrn mit Schnäuzer und Longhi auf dem Fahrrad, der uns auf einer der unasphaltierten, mit Schlaglöchern gespickten Straßen entgegenkommt, in die wir schließlich einbiegen. Jeder scheint ihn in eine andere Richtung zu lotsen. Wie so oft in Indien. Ohne Navi und ohne Karte, mit der telefonischen Hilfe der Tamul sprechenden guten Seele unseres Hotels, kommen wir dann tatsächlich irgendwann an. Im Paradies. In einem wunderschönen alten Kaufmannshaus. Oder viel besser gesagt in einer Kaufmannsvilla. Der Saratha Vilas.
Beinahe wären wir an dem weißen Gemäuer vorbeigefahren, doch Michel, einer der beiden Köpfe hinter diesem wunderschönen Heritage Mansion, hält auf der Straße schon nach uns Ausschau. Wir treten ein in die Welt der Chettiar, den reichen Kaufleuten, nach denen die Region im Herzen Tamil Nadus benannt ist. Und kommen vom ersten Moment an aus dem Staunen und Bewundern und Seufzen vor Wohlbehagen nicht mehr hinaus.
Die Nattukottai Chettiar und ihr architektonisches Erbe in Tami Nadu
Ob wir schon etwas über die Chettiar gehört hätten, fragt uns Michel, als wir über die steinerne Veranda in die große Halle eintreten, in deren blank gewienerten Bodenfliesen wir uns fast spiegeln können. Nein? Dann wird’s Zeit. Der Architekt und Möbeldesigner Michel ist in seinem Element. Noch bevor wir unser Zimmer beziehen, erklärt er uns, was es mit den Chettiar und palastartigen Gebäuden wie der Saratha Vilas auf sich hat.
Die Geschichte der Nattukottai Chettiar lässt sich bis zu den berühmten Chola zurück verfolgen, eine der im Mittelalter herrschenden Dynastien in Tamil Nadu. Die Chettiar waren erfolgreiche Kaufleute, die durch einen ausgeprägten Geschäftssinn und ein Händchen für Finanzgeschäfte im 19. Jahrhundert zu einem beachtlichen Wohlstand gekommen waren. Schon früh ist es ihnen gelungen, ihre Geschäfte über ganz Südostasien auszudehnen, wohin auch viele von ihnen ausgewandert sind. Viele Chettiar leben heute in Sri Linka, Myanmar, Singapur, Malaysia, Kambodscha oder Vietnam, einige hat es auch in den Westen verschlagen.
Geblieben sind ungefähr 30.000 wunderbare alte Häuser in der Region Chettinad, verteilt über 73 Dörfchen und zwei kleinere Städte. Die Häuser sind architektonisch eine Mischung aus tamilischer Architektur und Kolonialstil, gewürzt mit einer Prise Art Deco. Nicht nur der Stilmix, sondern auch die Accessoires wie große Kristalllüster aus Europa, Fliesen aus italienischem und belgischem Marmor, Keramiken aus Europa und Japan und erlesene Möbelstücke aus burmesischem Teakholz, wie wir sie in der großen Empfangshalle der Saratha Vilas bewundern können, sind ein Spiegelbild der Einflüsse aus den zahlreichen Reisen, die die geschäftstüchtigen Chettiar rund um den Globus führten.
Die Saratha Vilas gehörte eins einem solchen reichen, tamilischen Kaufmann, Thiru S.A.S.S. Subramanian. Obwohl diese angesichts seiner Geschäfte zumeist im malayischen Malakka weilte, fühlte sich Subramanian wie die meisten der Chettiar sehr heimatverbunden und ließ 1910 das Haus errichten, in dem wir für die nächsten drei Tage wohnen dürfen. Die großzügige, luxuriöse Villa sollte nicht nur als Rückzugsdomizil dienen, sondern auch seinen Wohlstand demonstrieren. Der Luxus dieser vergangenen Zeit ist erhalten geblieben in der Saratha Vilas und von Michel und Bernard, verfeinert und mit modernen Elementen ergänzt worden zu einem außerordentliche charmanten Heritage Hotel, aus dem man gar nicht mehr weg möchte.
Wir haben uns in den drei Tagen, die wir in der Saratha Vilas verbracht haben, auch kaum vom Fleck bewegt. Außer natürlich, um die vielen versteckten Ecken und Winkel des nach den Prinzipien des Vasu Shastra – das ist die indische Version von Feng Shui – angelegten Hauses zu erkunden und uns vorzustellen, wie Thiru S.A.S.S. Subramanian hier wohl vor mehr als hundert Jahren gelebt haben mag. Der Thinnai, die große Eingangsveranda, die es in fast allen tamilischen Häusern gibt, nur nicht immer so nobel mit Böden aus italienischem und belgischem Marmor, war der Ort, wo die Geschäfte gemacht wurden. Die große Halle wurde nur für Feste wie Hochzeiten oder andere Familienfeiern genutzt. Das „richtige Leben“ spielte sich in den dahinter liegenden Innenhöfen und den kleineren Hallen und Räumen ab. Diese sind übrigens an einer Achse ausgelegt, die sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckt. So kann man beispielsweise von der Veranda über den ersten Innenhof und den Speisesaal bis in den Küchenhof schauen. Und es hat den Vorteil, dass hier, wo es die meiste Zeit des Jahres extrem trocken und heiß ist, immer ein kühles Lüftchen weht.
Architektonischer und kulinarischer Hochgenuss in der Saratha Vilas
Obwohl unser Zimmer ein Traum ist, verbringen wir die meiste Zeit auf den Chaiselongues unter den Arkaden im großen Innenhof. Natürlich erst nach dem hervorragenden Frühstück, das wir im großen Speisesaal einnehmen, der früher für die Bewirtung der Gäste bei großen Festen genutzt wurde. Während wir bei südindischen Dosa mit Kokosmilch, Joghurt mit Papaya und Granatapfelkernen den Tag beginnen, versuchen wir uns vorzustellen, wie hunderte von Gästen auf Matten auf dem Boden gesessen und getafelt haben.
Vom Frühstückstisch geht es dann auf eine der lauschigen Sitzgelegenheiten. Hier lässt es sich bei einer Tasse Masala Chai wunderbar in den Tag hineinleben, nachdenken und träumen. Und Artikel schreiben für den Blog von India Someday :-). Zum Abendessen wandern wir dann in den Küchenhof, wo früher für die großen Gesellschaften gekocht wurde. Auf uns wartet heute nur ein Tisch für vier Personen, auf dem es aus den Schüsseln schon duftet und dampft. Köstliche „Fusion Kitchen“, französische Gerichte mit indischer Note oder umgekehrt. Der Koch, den Michel und Bernard angeheuert haben, versteht sein Handwerk. Das Hühnchen und der Fisch bekommen mit den indischen Gewürzen eine ganz besondere Note. Für Mädels hätten wir ja einen ganz schön guten Appetit, bemerkt Michel schmunzelnd. Ja, haben wir. Vor allem, wenn es so phantastisch schmeckt!
Für Michel und Bernard ist die Saratha Vilas mehr als nur ein Hotel. Es ist ihr Baby, ihre Herzensprojekt. Das merkt man nicht nur daran, wie rührend sie sich um ihre Gäste kümmern und mit welchem Engagement sie über Chettinad und das reiche kulturelle Erbe der Region sprechen. Jedes der geräumigen und hellen Zimmer ist individuell eingerichtet. Die Sitzgelegenheiten und Tische haben die beiden Architekten zum Teil selber designt, hergestellt wurden sie von Handwerkern aus der Region. Überall finden sich farblich passende Gemälde, Keramiken und Holzskulpturen. Die Wände sind übrigens zum Teil im „Chettinad Stil“ verputzt, das heißt mit einer Lasur aus Eiweiß, sehr lange haltbar und umweltfreundlich, wie wir erfahren.
Michel und Bernard hat es über Umwege nach Chettinad verschlagen. Inspiriert durch zahlreiche Indienreisen haben sie sich zunächst auf das Design von Holzmöbeln konzentriert, zusammen mit Handwerkern in Kerala, und unter dem Namen Gondwana in Frankreich vertrieben. Nach Aufenthalten in Chennai und Pondicherry entdeckten sie dann die Region Chettinad für sich. Eigentlich hatten sie gar nicht vor, hier ein Hotel zu eröffnen. Sie waren gekommen, um die Region als Architekten beim Erhalt des architektonischen Erbes zu unterstützen. Doch wie so oft kommt es anders als man denkt. Ein Glück für genussliebende Reisende wie meine Co-Bloggerin Ami und mich, die sich hier vom sonst so trubeligen, chaotischen „Incredible India“ erholen können.
Mit dem Rikscha Wallah auf Erkundungstour in den umliegenden Dörfer
Wir konnten Chettinad natürlich nicht verlassen, ohne zumindest einen Vormittag ein wenig die Gegend zu erkunden. Darauf bestanden unsere Gastgeber. Und recht hatten sie. Wir hätten definitiv etwas verpasst. Ein palastartiges Gebäude neben dem anderen, die einen etwas herausgeputzter als die anderen, einige etwas unpassend knallbunt gestrichen, bei den anderen blättert etwas der Putz ab – allein gemeinsam: eine wunderschöne Architektur.
Viele der alten Kaufmannsvillen in Chettinad stehen heute leer. Die Straßen des Dörfchens, das wir erkundet haben, war wie leergefegt – bis auf unsere Rikscha, die uns bei unserem Spaziergang auf Schritt und Tritt folgte. Einige der Häuser werden von Hausangestellten in Schuss gehalten, die sich mit der Führung von Touristen durch die heiligen Hallen ein paar Rupien dazu verdienen, oder in bezaubernde Hotels umgewandelt wie die Saratha Vilas. Andere dienen als Ferienhaus für die im Ausland lebenden Chettiar, die hier gerne für große Familienfeiern zusammenkommen. Vielleicht ergibt sich ja einmal die Gelegenheit, einer Chettiar Hochzeit beizuwohnen? Ansonsten kann ich mir sehr gut vorstellen, zu einem Yoga-Retreat in die Saratha Vilas wiederzukommen – den großen Yogaraum im Obergeschoss habe ich jedenfalls schon mal ausprobiert!
Wir bei India Someday lieben es Menschen für das Reiseland Indien zu begeistern. Unser Deutsch-Indisches Team hat den Subkontinent bereits mehrmals von Norden nach Süden und Westen nach Osten bereist und teilt mit Leidenschaft Tips und Erfahrungen. Wir helfen bei der Auswahl der Reiseziele, Route und Reisezeit und können somit hoffentlich auch euren Traum von ‘India Someday’ zur Wirklichkeit machen. Viel Spaß beim Stöbern!
Hallo Alexandra,
meine Freundin Friederike und ich waren im August in Saratha Vilas und haben genau das erlebt, was Du beschreibst!
Michel und Bernard sind mit ihrem Knowhow und ihrer Liebe zum Erhalt kulturellen Erbes nicht zu toppen.
Für uns gibt es in der Region Chettinad noch viel zu entdecken. – Wir werden wieder kommen!
Have a good time
Doris
Hallo Doris,
schön, dass es euch auch so gut gefallen hat! Wir freuen uns immer über diese positiven Erlebnisse. Meldet euch doch wenn ihr das nächste Mal in Indien reist
LG
Lukas
Liebe Doris,
freut mich sehr zu hören, dass Dir die Saratha Villas auch so gut gefallen haben! Auch wenn mein Besuch jetzt schon fast ein Jahr her ist, denke ich immer noch supergerne an die wunderschönen Tage dort zurück, einfach ein Kleinod im zuweilen doch recht hektischen Indien. Michel und Bernard sind einfach großartige Gastgeber, mit denen ich ich immer noch über die sozialen Medien in Kontakt stehe.
Liebe Grüße aus München,
Alexandra