“Riding on a train” – Mit Zug, Bus und Rikscha durch Südindien
„Excuse me, I’m afraid this is my seat.“ Auch nachdem ich diese Frage zum zweiten Mal gestellt habe, kommt nur ein leises Schnarchen als Antwort. Die Person unter dem nicht ganz so weißen Laken von Southern Railway befindet sich im Land der Träume, ganz weit weg. Eine alte Dame, von der nur das zu einem Dutt hoch gesteckte graue Haar zu sehen ist. Sie schläft tief und fest, und das, obwohl die Uhr am Bahnhof von Villuparam, an dem wir in den Zug nach Thanjavur steigen, schon nach zehn Uhr zeigt. Morgens wohlgemerkt. Der junge Mann gegenüber versucht sie – etwas unsanft – wachzurütteln. Er gibt ihr zur verstehen, dass sie auf unserem Platz liegt und es sowieso an der Zeit sei, aufzustehen. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen. Doch das Abteil ist voll und in indischen Zügen nehmen es zumindest die Schaffner sehr genau mit der Sitzplatzreservierung. Stimmt der Name auf der Fahrkarte nicht mit dem für diesen Sitzplatz registrierten Namen auf der Liste überein, kommt der indische Fahrkartenkontrolleur schon einmal aus dem Konzept.
Zum Glück ist uns die Dame nicht böse. Im Gegenteil. Sie freut sich über ihre neuen Sitznachbarn und schenkt uns immer wieder ein strahlendes Lachen. Aminata und ich hätten uns gerne mit ihr unterhalten, doch leider versteht sie kein Englisch. Und wir kein Tamul, die Sprache, die hier in Tamil Nadu gesprochen wird. Doch der junge Mann uns gegenüber und die Familie auf der anderen Seite des Ganges springen gerne als Übersetzer ein. Wir erfahren, dass sie ganz alleine reist – was sehr ungewöhnlich ist in Indien für Frauen in diesem Alter – und auf dem Weg zu ihrem Sohn ist. Sie sitzt schon seit vielen Stunden im Zug. Aber bald hat sie es geschafft.
Zugfahren mit indischen Großfamilien – Eintauchen in den indischen Alltag
Unsere Tagesetappe ist dieses Mal nicht so lang, bis nach Thanjavur sind es nur viereinhalb Stunden. Schade eigentlich. Ich liebe Zugfahren in Indien. Nirgendwo sonst hat man die Gelegenheit, so tief einzutauchen in die indische Seele. Kann man teilhaben am indischen Alltag. Und Kontakte mit Wildfremden knüpfen. Das Gros der Inder legt auch lange Strecken hauptsächlich mit dem Zug zurück. Egal ob die Fahrt vier oder vierzig Stunden dauert – sie richten sich gerne häuslich ein. Man reist mit der Großfamilie, die sich je nach Größe über mehrere Abteile verteilen muss. Gerne quetscht man sich auch für einen kleinen Plausch in ein einziges Abteil. Egal, ob dann die anderen Fahrgäste zusammenrücken müssen oder nicht.
Für den kleinen oder großen Hunger ist man stets gewappnet. Während wir höchstens ein paar Kekse, Bananen und Wasser dabei haben, zaubert die indische Großfamilie ein komplettes Menü aus einer ihrer vielen Taschen. Biryani, Dhal, Chana Masala, Chapatti, alles was das Herz begehrt. Und meinen Magen zum Knurren veranlasst, während ich an meinem trockenen Keks knabbere. Ich verzichte mal wieder darauf, mit Wasser nachzuspülen, damit ich nicht so oft zur Toilette muss. Zwar hat der indische Premierminister Modi tatsächlich einen Teil seiner Wahlversprechen eingelöst und spürbare Verbesserungen beim Service von Indian Railways herbeigeführt, doch je nach Lust und Laune des Zugpersonals und je nachdem, wie lange der Zug schon unterwegs ist, sind die Toiletten nicht sehr einladend. Ich könnte es ja auch so machen wie meine Mitbloggerin und mir ein Tuch vor Nase und Mund binden.
Ein Tuch und meinen Multifunktions-Sarong aus Malaysia habe ich sowieso immer dabei. Meistens sind die Laken und Kissen, die man bei Übernachtfahrten bekommt, leidlich sauber. Doch wenn einem so wie auf unserer Fahrt von Bangalore nach Pondicherry beim Auseinanderfalten tote Insekten entgegen fallen, schlüpfe ich lieber unter meine eigene, provisorische Decke und binde mir ein Tuch um meine langen Haare. Aber das passiert eigentlich sehr selten.
Von den 2.700 Kilometern unserer #YouWanderWePay-Reise durch Südindien haben wir viele Kilometer mit dem Zug zurückgelegt und es fast immer relativ sauber gehabt. Dabei haben wir verschiedene Zugarten und Zugklassen ausprobiert. Meistens sind wir in der AC-2-Tier oder AC-3-Tier gereist. In diesen klimatisierten Klassen gibt es in den Abteilen gepolsterte Bänke, entweder zwei- oder dreietagig, die nachts ausgeklappt und zu Betten umfunktioniert werden. Tagsüber sitzt man jeweils zu zweit oder zu dritt auf der unteren Bank. In Zügen wie dem Shatabdi Express, einem Schnellzug, wie wir ihmn beispielsweise von Mumbai nach Aurangabad und von Mysore nach Bangalore genommen haben, gibt es nur „Chair Coaches“ mit verstellbaren Sitzen, die man auch aus deutschen Zügen kennt. In diesen Zügen ist auch eine Mahlzeit sowie Wasser, Tee und sogar eine Tageszeitung im Fahrpreis inbegriffen.
Apropos Essen: Verhungern muss in einem indischen Zug niemand, auch wenn man keine eigene Tiffinbox dabei hat. Das Pendant zur „freundlichen Mitropa“ kocht gar nicht mal so schlecht. Das Biryani und die Samosas auf der Fahrt nach Aurangabad waren richtig lecker. Meistens halten die Züge etwas länger an den Bahnhöfen. Dann huscht eine Armada fliegender Händler mit frischen Samosas und sonstigen Knabbereien durch die Abteile. Und mit Kaffee, Tee und Wasser. Wer schon einmal in Indien mit dem Zug unterwegs war, wird das durchdringende „Chai, Chai, Chai. Coffee, Coffee, Coffee“ vielleicht immer noch als Ohrwurm im Kopf haben.
Indisches Zugnetz eines der größten der Welt
Das indische Zugnetz ist übrigens das drittgrößte der Welt, nach den USA und China. Das Netz umfasst 65.000 Kilometer und 7.500 Bahnhöfe. Jeden Tag werden mehr als 20 Millionen Passagiere in gut 10.000 Zügen transportiert. Man kann vom Himalaya bis an den südlichsten Punkt des Subkontinents mit dem Zug reisen. Der von der Distanz und Reisedauer längste Zug ist der Vivek Express. Er startet in Dibrugarh in Assam und fährt bis Kanyakumari ganz unten im Süden. Für die 4.233 Kilometer braucht der Zug 83 Stunden, er hält auf der Strecke 55 Mal. Sicherlich ein Abenteuer!
Unsere Zugfahrten dauerten maximal zwölf Stunden, die Verspätungen, die durch das häufige Warten auf dem freien Feld wegen eines entgegenkommenden Zuges entstehen, mit eingerechnet. Wir sind hauptsächlich nachts mit dem Zug gefahren, einige kürzere Strecken haben wir auch tagsüber zurückgelegt. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie gut das System bei dieser schieren Größe funktioniert und wie pünktlich die Zuge in der Regel sind.
Mit dem Super Deluxe Volvo Bus durch die Nacht, mit Bollywoodfilm im öffentlichen Bus
Auf den Strecken, auf denen es keine Zugverbindung gab, haben wir meistens einen Bus genommen. Deluxe, Super Deluxe – die privaten Busgesellschaften, die es Indien in jeder größeren Stadt gibt und die vorrangig auf längeren Strecken eingesetzt werden, übertrumpfen sich gegenseitig darin, ihren Luxus hervorzuheben. Doch tatsächlich sind diese Busse recht komfortabel. Vor allem die Nachtbusse mit den abgeteilten Kojen, in denen man auch zu zweit bequem liegen kann. Die meisten haben sogar einen eigenen Bildschirm, auf dem man die ganze Nacht Bollywoodstreifen gucken kann. Bollywoodfilme, oder in Tamil Nadu Produktionen aus der Filmfabrik Chennai, kann man in einigen Gegenden inzwischen sogar in den Überlandbussen staatlicher Busgesellschaften sehen.
Auf einigen wenigen Strecken hatten wir einen Fahrer, zum Beispiel von Thanjavur nach Chettinad, von Madurai nach Munnar und von Munnar in die Backwaters. Dort gibt es zwar überall auch öffentliche Busse, doch in diesen ländlichen, zum Teil bergigen Regionen sind die Busse sehr lange unterwegs und nicht unbedingt die sicherste Variante. Vor Ort sind wir immer Rikscha gefahren – und dabei Weltmeister im Feilschen und Handeln geworden. Die meisten Rikschafahrer weigern sich, das Taxameter einzuschalten. Und hauen vermeintlich unwissende Touristen gerne einmal über das Ohr. Wir haben bei unseren Rikschafahrten jedoch auch viele nette Bekanntschaften geschlossen und eine Menge gelacht – sei es über liebevoll dekorierte Rikschas, zu fahrenden Discos umgebaute Gefährte mit Stereoanlage und Glitzerlichtern oder Rikschas mit Statement-Aufdrucken wie “Jesus Loves You” oder “Indian Ferrari”. Oder über die unermüdlichen Versuche, uns doch noch zu einem Abstecher in das Geschäft des Vetters dritten Grades des besten Freundes zu fahren. Natürlich “only looking”.
Unsere 2.700 Kilometer durch Südindien – gut geplant von India Someday
Durch das Buchungssystem der indischen Bahn und die vielen verschiedenen Zugklassen durchzusteigen, ist zu Beginn etwas kompliziert und oftmals sind die Züge bereits ausgebucht, so dass man nur noch versuchen kann, über das Last-Minute-System Tatkal oder die Tourist Quota ein Ticket zu bekommen. Oder letztlich auf den Bus umsteigen muss. Doch um all das mussten wir uns auf unserer Reise glücklicherweise nicht kümmern, denn India Someday hat alle Buchungen im Vorfeld für uns übernommen. Wir mussten nur noch mit unseren Tickets in den – hoffentlich richtigen – Zug oder Bus steigen.
Hier ist übrigens eine Übersicht unserer vierwöchigen Reise durch Südindien:
Wir bei India Someday lieben es Menschen für das Reiseland Indien zu begeistern. Unser Deutsch-Indisches Team hat den Subkontinent bereits mehrmals von Norden nach Süden und Westen nach Osten bereist und teilt mit Leidenschaft Tips und Erfahrungen. Wir helfen bei der Auswahl der Reiseziele, Route und Reisezeit und können somit hoffentlich auch euren Traum von ‘India Someday’ zur Wirklichkeit machen. Viel Spaß beim Stöbern!